Hochsprache und Dialekt

Hochsprache und Dialekt im Arabischen

Inhalt

  1. Zwischen Alltag und Amtssprache
  2. Was ist Hocharabisch eigentlich?
  3. Die arabische Diglossie
  4. Schriftliches und mündliches Hocharabisch
  5. Arabische Dialekte
  6. Religion und Sprachenpolitik
  7. Medien und KI
  8. Implikationen für die Praxis
  9. Soll man Hocharabisch sprechen lernen?

1 | Zwischen Alltag und Amtssprache

Im März 2007 betrat ich die Ankunftshalle des Flughafens Kairo. Mein Grundstudium der Arabistik war abgeschlossen, einschließlich einer intensiven Ausbildung im modernen Hocharabischen. Jetzt war ich endlich vor Ort, in einem der großen Zentren der arabischen Welt. Allerdings erwartete mich in sprachlicher Hinsicht in Ägypten zunächst eine große Ernüchterung. Natürlich war mir die Situation der arabischen Diglossie bekannt. Dass ich in den ersten Stunden und Tagen jedoch kaum mit der Hochsprache in Berührung kam, ließ mich dennoch stutzen.

Diese oder ähnliche Erfahrungen machen viele Arabischlernende, wenn sie nach den ersten Lehrbuchlektionen in ein arabisches Land reisen oder mit arabischen Muttersprachlern in Kontakt kommen. Daraus zu schließen, das Hocharabische sei unwichtig oder verzichtbar, wäre jedoch ein Trugschluss. Denn „Fusha“, wie es auch genannt wird, ist die Sprache von Literatur, Bildung, Medien, Verwaltung und Religion. Daneben existieren zahlreiche Dialekte für den Alltag.

Wer Arabisch lernt oder beruflich nutzt, wechselt im Idealfall je nach Situation flexibel zwischen diesen beiden Ebenen. Das gilt übrigens auch für arabische Muttersprachler. Ob gerade Dialekt oder Hochsprache oder eine Zwischenform angemessen ist, hängt unter anderem davon ab, wie formell oder informell die Situation ist, mit wem und über was man spricht. Die Wahl eines sprachlichen Registers kann Nähe oder Distanz, Bildung, Zugehörigkeit oder Professionalität signalisieren.

2 | Was ist Hocharabisch eigentlich?

Man kann im Arabischen zwischen:

  • klassischem Arabisch: der Sprache des Korans und der klassischen Literatur und Dichtung, die sich über Jahrhunderte hinweg kaum verändert hat;
  • modernem Hocharabisch (Fusha): einer aus dem klassischen Arabischen entstandenen standardisierten Hochsprache für Literatur, Bildung, Verwaltung, Medien und formelle Kommunikation;
  • sowie den Dialekten: regional verschiedenen Alltagssprachen mit teils deutlicher Distanz zur Hochsprache.

Funktionen heute:
Hocharabisch ist in 22 arabischen Staaten offizielle Amtssprache. Es ist Unterrichts- und Prüfungssprache, Sprache der Literatur, der Nachrichten, der Verwaltung und der Religion. Alle schriftlichen Texte sind auf Hocharabisch verfasst. Gesprochen wird es in formellen Situationen. Als Muttersprache wird es von niemandem erworben, sondern durch schulische oder religiöse Bildung erlernt.

3 | Die arabische Diglossie

Der Begriff Diglossie beschreibt das Nebeneinander zweier Sprachregister mit klarer Aufgabenverteilung: Hocharabisch für formelle und schriftliche Kontexte, Dialekte für informelle mündliche und teilweise schriftliche Kommunikation.

Im Arabischen ist diese Trennung vielleicht ausgeprägter als in manchen anderen Sprachen, sie ist aber nicht absolut zu sehen, denn zwischen Hochsprache und Dialekt existieren fließende Übergänge. Vergleichbar ist dies etwa mit dem Verhältnis von Schweizerdeutsch und Standarddeutsch.

4 | Schriftliches und mündliches Hocharabisch

Schriftlich:
Formale schriftliche Texte sind nahezu immer auf Hocharabisch verfasst: beispielsweise Verträge, Urkunden, Webseiten, ein Großteil der Literatur. Für professionelle Übersetzungen bedeutet das: In der überwiegenden Mehrheit der Fälle wird ins Hocharabische übersetzt, unabhängig davon, an wen sich der Text richtet oder für welches Land er bestimmt ist. Grammatik und Orthographie sind überregional gleich, auch wenn zwischen den einzelnen arabischen Ländern (ähnlich wie zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz) terminologische Unterschiede auftreten.

Mündlich:
Gesprochen wird Hocharabisch etwa in Nachrichtensendungen, Reden, Predigten und vorbereiteten Vorträgen. Je nach Sprecher und Situation mischen sich dialektale Elemente hinein. Im Alltag hört man Hocharabisch oder Mischformen zum Beispiel bei der Verständigung zwischen Sprecherinnen und Sprechern unterschiedlicher arabischer Herkunft. Wer eine höhere formale Bildung durchlaufen hat, kann in der Regel flexibel zwischen den Registern wechseln.

Dialekt schriftlich?
In sozialen Medien, in der Werbung und der Literatur wird teilweise auch im Dialekt geschrieben, manchmal auch in lateinischer Umschrift („Arabizi“). Allerdings existieren keine verbindlichen Regeln für das schriftliche Dialekte und kein Dialekt ist überregional eindeutig verständlich. Für professionelle Kommunikation ist daher oft Hocharabisch das Register der Wahl.

5 | Arabische Dialekte

Arabische Kinder erwerben zunächst die jeweiligen Dialekte ihrer Familie. Sie prägen Alltag, Emotionen und Identitäten. Hocharabisch lernen sie meist erst in der Schule. Im religiösen Kontext begegnen sie zusätzlich dem klassischen Arabisch, das dem Hocharabischen strukturell nahekommt.

Hauptgruppen:
Vereinfachend kann man zwischen fünf regionalen Hauptdialekten unterscheiden: Maghreb, Ägypten und Sudan, Levante, Irak, Golfregion und Arabische Halbinsel. Unterschiede zeigen sich in Lautung, Grammatik und Wortschatz. Dazu kommen in der Maghrebregion französische, spanische und berberische Lehnwörter und in den Golfstaaten sprachliche Einflüsse des Englischen und südasiatischer Sprachen.

Beispiele für Dialekte und Hochsprache:
„Ich weiß nicht“
Fusha: lā adrī
Ägyptischer Dialekt: ma-ʿrafš

„Ich will“
Fusha: urīdu
Levantinischer Dialekt: biddi
Ägyptischer Dialekt: ʿāyiz / ʿāyiza

6 | Religion und Sprachenpolitik

Der besondere Status des Hocharabischen ist eng mit dem klassischen Arabischen als Sprache des Korans verbunden. Als Sprache der Offenbarung hat die (klassische) Hochsprache für viele Musliminnen und Muslime eine sakrale Dimension.

Viele arabische Staaten fördern das Hocharabische aktiv durch Bildungspolitik, Medienvorgaben und Sprachgesetze. Fusha gilt als Symbol für Einheit, Bildung und nationale Identität. Problematisch ist es aus meiner Sicht, wenn damit eine implizite Abwertung der lebendigen und gesprochenen arabischen Dialekte als „unarabisch“ oder „verzerrte Sprachformen“ einhergeht.

7 | Medien und KI

Mit dem Aufkommen des Satellitenfernsehens Ende der 1990er-Jahre gewann Hocharabisch neue Präsenz im gesprochenen Raum. Sender wie Al-Jazeera etablierten eine Standardsprache jenseits reiner Nachrichtensprache, das Medienarabische.

Die Verbreitung von sozialen Medien und Messengerdiensten wirkte wiederum in eine ganz andere sprachliche Richtung. Hier konnten sich Dialekte erstmals in geschriebener Form deutlich ausbreiten, teilweise häufig vermischt mit Englisch oder Französisch oder in Mischformen mit dem Hocharabischen.

KI und große Sprachmodelle:
Große Sprachmodelle wurden überwiegend mit Texten in modernem Hocharabisch trainiert, da dialektale Texte – abgesehen von den sozialen Medien – kaum vorlagen. Entsprechend prägt das Hocharabische bisher die Nutzung von KI-Chatbots, auch wenn es zunehmend Forschung und neue Entwicklungen zur Verarbeitung arabischer Dialekte gibt.

8 | Implikationen für die Praxis

Wer mit Arabisch arbeitet, muss eine Balance finden. Hocharabisch eröffnet Zugang zu Texten, Bildung und überregionaler Kommunikation. Dialekte ermöglichen Nähe und Alltagstauglichkeit. Meine persönliche Erfahrung beim Erlernen und Unterrichten der Sprache ist: Wer Hocharabisch lernt, hat es auch mit Dialekten leichter. Umgekehrt bleibt der Zugang zur Alltagswelt ohne Dialekt unvollständig.

9 | Hocharabisch sprechen: eine strategische Entscheidung

Wer beruflich oder akademisch mit der arabischen Welt zu tun hat und dafür Arabisch lernt – sei es im Journalismus, im diplomatischen Dienst oder in der Wirtschaft – steht vor der Frage: Soll Hocharabisch lediglich verstanden oder aktiv gesprochen werden? Diese Entscheidung hat weitreichende Folgen. Wer Hocharabisch nur passiv beherrscht, bleibt in formellen Situationen oft außen vor. Wer es sprechen kann, wird handlungsfähig – gerade dort, wo Dialekte an ihre Grenzen stoßen.

Sprachliche Kompetenz zeigt sich im Arabischen im bewussten Wechsel zwischen den Registern. Wer früh beginnt, Hocharabisch aktiv zu sprechen, entwickelt ein Gespür für Stil, Kontext und Präzision. Das ist meiner Erfahrung nach ein entscheidender Vorteil, wenn es darauf ankommt, schnell und überzeugend zu kommunizieren.

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