Wenn ich meine Übersetzungen in Rechnung stelle, basiert das Honorar auf der Berechnung meines Zeitaufwands. Viele Kolleginnen und Kollegen rechnen nach Normzeilen, Wörtern oder Seiten ab. Das war jedoch nicht immer so, wie ein Blick in die Geschichte zeigt. So soll der arabische Kalif al-Maʿmūn (reg. 813–833) seinen Übersetzern das Honorar in Gold ausgezahlt haben – und zwar nach dem Gewicht der fertigen Manuskripte. Diese Anekdote stammt aus einer Blütezeit der Übersetzung, die als arabische Übersetzungsbewegung bekannt ist. Sie leistete einen bedeutenden Beitrag zur Überlieferung umfassender Wissensbestände, die später als Grundlage für viele Entwicklungen im Europa der Neuzeit dienten.
- Bagdad als intellektuelles Labor
- Von Galen bis Ptolemäus: was übersetzt wurde
- Theorie durch Praxis: erste Reflexionen übers Übersetzen
- Wissensbrücken nach Europa
- Sprachliche Spuren
Bagdad als intellektuelles Labor
Im 9. Jahrhundert, insbesondere zwischen 800 und 900 n. Chr., entwickelte sich Bagdad zu einem kulturellen und wissenschaftlichen Zentrum, das seinesgleichen suchte. Der Bayt al-Ḥikma war mehr als eine Bibliothek: Er war Forschungsinstitut, Übersetzungsatelier und Diskussionsforum zugleich. Gelehrte verschiedener Konfessionen arbeiteten dort zusammen, unter ihnen Christen, Muslime und Juden. In einem Klima relativer Toleranz entstanden systematische Übersetzungen griechischer, persischer und indischer Werke. Dabei ging es nicht nur um die Bewahrung alten Wissens, sondern um dessen Weiterentwicklung im arabischen Denkraum. Die Institution geht wohl auf Hārūn ar-Raschīd (reg. 786–809) zurück und erlebte unter al-Maʿmūn ihren Höhepunkt.
Von Galen bis Ptolemäus: was übersetzt wurde
Die Spannweite der übersetzten Texte ist beeindruckend. Philosophische Werke von Aristoteles, medizinische Schriften von Galen, mathematische Traktate von Euklid oder astronomische Berechnungen von Ptolemäus fanden Eingang in die arabische Sprache. Besonders anschaulich ist der Fall von Ḥunayn ibn Isḥāq (ca. 809–873): Als Arzt und Linguist entwickelte er ein komplexes System, um griechische Termini in eine funktionale arabische Fachsprache zu überführen. In seinen Einleitungen beschreibt er die Herausforderungen, mit denen er konfrontiert war: unklare Begriffe, fehlende Entsprechungen, kulturelle Unterschiede. Statt wörtlich zu übersetzen, suchte er nach sinnhaften Übertragungen, die dem Verständnis seiner Zeitgenossen dienten.
Theorie durch Praxis: erste Reflexionen übers Übersetzen
Diese Übersetzer dachten über ihre Arbeit nach. In ihren Vorreden und Kommentaren finden sich Überlegungen, die später in der westlichen Übersetzungswissenschaft als Grundfragen erscheinen sollten: Wie treu muss eine Übersetzung dem Original sein? Darf man umformulieren, um besser zu erklären? Wie geht man mit kulturellen Konzepten um, die im Zielraum unbekannt sind? Zwar existierte keine geschlossene Theorie, doch der Übersetzungsprozess wurde reflektiert und dokumentiert – oft pragmatisch und auf den Erkenntnisgewinn ausgerichtet. Gerade dieser Umstand macht viele der damaligen Texte zu wertvollen Quellen für heutige Forschungen.
Wissensbrücken nach Europa
Mit der Rückübersetzung vieler arabischer Werke ins Lateinische begann im Hochmittelalter ein neuer Transfer: Ab dem 12. Jahrhundert gelangte das übersetzte und weiterentwickelte Wissen über al-Andalus, Sizilien oder die Kreuzzugsbewegungen zurück nach Europa. Namen wie Gerhard von Cremona (gest. 1187), der in Toledo wirkte, oder Wilhelm von Moerbeke (ca. 1215–1286), der auch direkt aus dem Griechischen übersetzte, stehen für diese Bewegung. Sie übersetzten Texte, die oft mehr arabisch als griechisch waren, weil sie im Prozess weitergedacht worden waren. So gelangten Erkenntnisse der Antike über arabische Filter in europäische Klöster und Universitäten – nicht selten begleitet von arabischen Kommentaren und Begriffen.
Sprachliche Spuren
Diese sprachlichen Spuren lassen sich bis heute in unseren europäischen Sprachen finden. Zahlreiche Fachbegriffe des Mittelalters kamen über das Arabische ins Lateinische – und von dort ins Deutsche, Englische oder Französische. So stammt das Wort „Algebra“ vom arabischen al-ǧabr, einem zentralen Begriff in al-Khwārizmīs mathematischem Werk. Auch „Algorithmus“ geht auf seinen Namen zurück (al-Khwārizmī). Der „Zenith“ stammt aus dem arabischen samt ar-raʾs, und „Nadir“ aus naẓīr as-samt – beide Begriffe stammen aus der Astronomie. „Admiral“ leitet sich von amīr al-baḥr ab, dem Befehlshaber zur See. Und selbst Wörter wie „Tarif“, „Kaliber“ oder „Elixier“ tragen diesen historischen Abdruck.
Nicht nur in der Begrifflichkeit, auch in der Struktur wissenschaftlicher Texte, in der Kommentarkultur oder der Tabellierung von Wissen lässt sich diese Epoche noch erkennen. Es ist ein stilles Erbe – aber eines, das unsere Sprachen, unsere Wissensformen und unsere Denkgewohnheiten bis heute prägt.
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