In der juristischen Fachsprache kommt es auf jedes Wort an. Das gilt auch für die Übersetzung dieser Texte. Doch was ist, wenn es für Begriffe wie „Angeklagter“, „Beschuldigter“ oder „Verurteilter“ keine eindeutigen Entsprechungen im Arabischen gibt? Und was, wenn ich als Übersetzer nicht weiß – und auch nicht in Erfahrung bringen kann –, ob der ins Arabische übersetzte Text für einen marokkanischen Richter oder eine saudi-arabische Behörde gedacht ist?
- Die Herausforderung bei juristischen Übersetzungen
- Unterschiedliche Länder, unterschiedliche Begriffe
- Was tun, wenn der Adressat der Übersetzung unbekannt ist?
- Verfahrensbeteiligte: Erste Instanz bis Revision
- Straftatbestände
Die Herausforderung bei juristischen Übersetzungen
RRechtstexte verlangen Präzision. Und das nicht nur inhaltlich, sondern auch terminologisch. So wird im deutschen Strafrecht beispielsweise fein säuberlich zwischen „Verdächtigem“, „Beschuldigtem“, „Angeschuldigtem“, „Angeklagtem“ und „Verurteiltem“ unterschieden. Diese Unterscheidungen sind keine akademischen Finessen, sondern sie wirken sich direkt auf die Rechte und Pflichten der Beteiligten aus. Als vereidigter Übersetzer muss ich solche Differenzierungen erkennen und möglichst passgenau ins Arabische übertragen.
Unterschiedliche Länder, unterschiedliche Begriffe
Auch zwischen den deutschsprachigen Ländern gibt es teils unterschiedliche Rechtsterminologien. Der arabische Sprachraum ist jedoch deutlich heterogener und größer, entsprechend vielfältiger auch die terminologischen Unterschiede, die auf die unterschiedlichen rechtshistorischen Umstände zurückgehen. Wie der folgende Überblick zeigt, ist eine eindeutige Übersetzung ins Arabische nicht immer möglich. So kann „المتهم” in einem Land den Beschuldigten bezeichnen, in anderen arabischen Ländern aber auch den Angeschuldigten oder Angeklagten. Bei der Übersetzung dieses Begriffs ins Deutsche muss also genau hingesehen werden, um das richtige deutsche Pendant zu wählen, da es von dem jeweiligen Verfahrensstadium abhängt. Falls dies nicht möglich ist, hilft oft nur eine erklärende Fußnote.
Deutsche Terminologie abhängig vom Verfahrensstatus | Übliche arabische Entsprechung | Anmerkungen |
---|---|---|
Tatverdächtiger | ظنين، مظنون فيه، مشتبه به | متهم z. B. in Jordanien und Syrien verbreitet, ظنين und مظنون فيه im Maghreb |
Beschuldigter | المشتكى عليه / مشتبه به / متهم / المشبوه بارتكابه جريمة / ظنين | Person, gegen die Anzeige gestellt wurde |
Angeschuldigter | متهم | anders als im Deutschen wird meist nicht zwischen Angeschuldigtem und Angeklagtem unterschieden |
Angeklagter | متهم | üblicher Ausdruck nach Anklageerhebung |
Verurteilter | مدان / محكوم عليه | beide Begriffe bezeichnen den Schuldspruch; محكوم عليه juristisch-technischer |
Beispiel aus der Praxis: Aus Akten eines Ermittlungsverfahrens deutscher Behörden sollte „Beschuldigter“ ins Arabische übersetzt werden. Da noch keine Anklage erhoben war, hätte eine einfache Übersetzung mit „متهم“ eventuell Missverständnisse hervorrufen können. Ich habe daher zusätzlich eine Anmerkung des Übersetzers in der Fußnote gemacht: „الشخص الذي يُشتبه بارتكاب الجريمة ولم تُقدَّم بعد لائحة اتهام بحقه“ also: „die Person, der eine Tat zur Last gelegt wird, gegen die aber noch keine Anklage erhoben wurde“.
Übrigens: Auch für die Staatsanwaltschaft existieren regionale Varianten wie: وكيل الملك (Marokko), النائب العام (z. B. Ägypten), oder الادعاء العام (z. B. Oman).
Was tun, wenn der Adressat der Übersetzung unbekannt ist?
Als Übersetzer muss ich diese terminologischen Unterschiede selbstverständlich berücksichtigen. So kann eine Übersetzung, die für den ägyptischen Kontext korrekt erscheint, in Marokko unverständlich sein. Hinzu kommt: In der Praxis weiß ich nicht immer genau, für wen die Übersetzung bestimmt ist. Es gibt keine universelle arabische Juristensprache. Begriffe, die in Beirut selbstverständlich sind, können in Casablanca Fragezeichen auslösen. In solchen Fällen hat es sich bewährt, eine möglichst neutrale Übersetzung zu wählen und/oder den Kontext gegebenenfalls in Fußnoten zu erläutern.
Die Verfahrensbeteiligten auf Arabisch: von der ersten Instanz bis zur Revision
Verfahrensbeteiligter (DE) | Arabische Entsprechung |
---|---|
Kläger / Antragsteller | المدعي / مقدم الطلب |
Beklagter | المدعى عليه / المطلوب |
Berufungskläger | المستأنف |
Berufungsgegner | المستأنف عليه / المستأنف ضده |
Revisionskläger | الطاعن / المميز |
Revisionsbeklagter | المطعون ضده / المميز ضده |
Übersetzung von Straftatbeständen: Kein Begriff ohne Kontext
ِAls Gerichtsdolmetscher bin ich regelmäßig damit betraut, Straftatbestände des deutschen Strafgesetzbuchs ins Arabische zu übertragen. Zwar existieren für viele Begriffe etablierte Entsprechungen im modernen Hocharabischen, doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass sich das Begriffsverständnis in den verschiedenen Rechtssystemen nicht immer deckt. Ein klassisches Beispiel – vor dem übrigens auch Englisch-Dolmetscher und Kolleginnen und Kollegen anderer Sprachen stehen – ist der „Mord„, der sich im deutschen Strafrecht durch das Vorliegen besonderer Merkmale wie Heimtücke oder Habgier definiert.
Übersetzt man Mord beispeilsweise mit „القتل العمد“ oder „التقل القصد„, so bezeichnet dieser Begriff zunächst ganz allgemein die vorsätzliche Tötung, mit oder ohne Mordmerkmale. Erst der Zusatz „مع سبق الإصرار“ (jordanisches Strafgesetzbuch, Art. 328) oder „مع سبق الإصرار والترصد“ (z. B. irakisches Strafgesetzbuch Art. 406 Abs. 1a) macht den Mordcharakter deutlich.
In anderen Fällen werden je nach Land ganz unterschiedliche Begriffe verwendet. Manchmal gibt es für den Straftatbestand auch gar keinen im Gesetz festgelegten Begriff in Form eines Substantivs. So lautet die Formulierung für „Sachbeschädigung“ beispielsweise im Art. 361 des ägyptischen Strafgesetzbuchs „ﻛﻞ ﻣﻦ ﺧﺮﺏ ﺃﻭ ﺃﺗﻠﻒ ﻋﻤﺪﺍ ﺃﻣﻮﺍﻻ ﺛﺎﻧﻴﺔ ﺃﻭ ﻣﻨﻘﻮﻟﺔ ﻻ ﻳﻤﺘﻠﻜﻬﺎ“ („Wer vorsätzlich andere Vermögenswerte oder bewegliche Sachen, die ihm nicht gehören, beschädigt oder zerstört“). Im marokkanischen Strafgesetzbuch werden im Abschnitt 8 („في التخريب والتعييب والإتلاف“, also etwa: „Zerstörung, Beschädigung und Unbrauchbarmachung“) unterschiedlichste Beschädigungsdelikte aufgeführt, darunter auch Brandstiftung.
Regelmäßig kommt es auch vor, dass Begriffe wie „Nötigung“, die im deutschen Strafrecht (§ 240 StGB) isoliert beschrieben werden, in arabischen Gesetzen nur in Zusammenhang mit bestimmten Delikten auftauchen.
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